Selbstreflexion als Kernkompetenz in der Mediation
Prolog
"lupus est homo homini (quom qualis sit non novit)"
Titus Maccius Plautus (um 254- 184 v. Chr.) »Asinaria (Eseleien)«
Das Zitat von Plautus "lupus est homo homini (quom qualis sit non novit)" – "Ein Wolf ist der Mensch dem Menschen (kein Mensch, solange er nicht weiß, welcher Art der andere ist)" – veranschaulicht auf eindringliche Weise, wie bedeutsam die Selbsterkenntnis und Selbstreflexion in der Mediation sind. In der Rolle des/r Mediators/in geht es darum, die eigene innere Haltung zu erkennen und bewusst zu steuern, um eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich die Konfliktparteien öffnen können. Nur wenn der/die Mediator/in sich selbst reflektiert und allparteilich agiert, wird er/sie zum/r Wegbereiter/in dafür, dass die Medianden/innen sich authentisch zeigen – in ihrer Art, ihrem Wesen, ihren Bedürfnissen und Gefühlen.
So ermöglicht der/die Mediator/in beiden Seiten nicht nur ein tieferes Verständnis füreinander, sondern auch die Bereitschaft, den anderen wirklich zu sehen und zu hören. Die Kunst der Mediation liegt darin, den Raum zu schaffen, in dem die Menschen nicht als "Wölfe", sondern als Menschen miteinander in Kontakt treten können. Dieser Prozess der Offenheit und Begegnung beginnt immer bei der Fähigkeit des/r Mediators/in, sich selbst zu erkennen und den eigenen inneren Impulsen mit Klarheit und Reflexion zu begegnen.
Selbstreflexion: Schlüssel zu Neutralität und Allparteilichkeit
In der Praxis der Mediation geht es nicht nur um Konfliktlösung, sondern auch um die Entwicklung der eigenen inneren Haltung und Reflexionsfähigkeit. Selbstreflexion ist für Mediatoren/innen nicht einfach ein hilfreiches Werkzeug – sie bildet das Fundament, auf dem eine effektive, empathische und professionelle Mediation aufgebaut ist. Diese Fähigkeit ist entscheidend, um in der eigenen Rolle neutral, allparteilich und authentisch zu bleiben und Konfliktparteien den Raum zu geben, sich sicher und offen auf den Mediationsprozess einzulassen.
Selbstreflexion als Basis der mediativen Haltung
Selbstreflexion bedeutet, das eigene Denken, Fühlen und Handeln kontinuierlich zu hinterfragen und sich seiner eigenen Reaktionen und Vorurteile bewusst zu werden. Für Mediatoren/innen ist diese Fähigkeit unerlässlich, da sie die Grundlage für eine allparteiliche und neutrale Haltung bildet. Es geht darum, sich immer wieder bewusst zu machen, wie man auf bestimmte Konfliktsituationen reagiert und welche inneren Muster und Meinungen dabei zum Vorschein kommen.
Dieser Reflexionsprozess ermöglicht es Mediatoren/innen, die eigenen Emotionen und Vorannahmen zu erkennen und beiseitezulegen. Nur so können sie den Konfliktparteien unvoreingenommen begegnen und wirklich verstehen, welche Bedürfnisse und Interessen hinter den jeweiligen Positionen verborgen sind. Ohne selbstreflexive Praxis besteht die Gefahr, dass eigene Sichtweisen oder Gefühle in den Mediationsprozess einfließen und die Neutralität gefährden.
Aktives Zuhören und die Bedeutung der Selbstreflexion
Aktives Zuhören ist eine der Kernkompetenzen in der Mediation und eng mit der Selbstreflexion verbunden. Um den Konfliktparteien das Gefühl zu geben, wirklich gehört und verstanden zu werden, sind Mediatoren/innen in der Lage, ihre eigenen inneren Impulse zu erkennen und diesen mit einer bewussten und reflektierten Haltung zu begegnen. Selbstreflexion unterstützt dabei, den Fokus auf die Aussagen und Bedürfnisse der Konfliktparteien zu richten und verhindert, dass der/die Mediator/in mit eigenen Interpretationen oder Wertungen interveniert.
Mediatoren/innen, die dazu fähig sind, aktiv zuzuhören, schaffen einen Raum, in dem die Konfliktparteien sich sicher fühlen und bereit sind, offen über ihre Anliegen zu sprechen. Diese Offenheit ist ein entscheidender Faktor, um eine tiefere Verständigung und letztlich eine gemeinsame Lösung zu ermöglichen.
Selbstreflexion – Fundament für eine neutrale und allparteiliche Prozessleitung
Neutralität und Allparteilichkeit sind grundlegende Prinzipien der Mediation. Dies bedeutet, dass Mediatoren/innen, allen Konfliktparteien gegenüber in gleicher Weise und ohne Vorurteile begegnen. Dies gelingt nur, wenn sich die neutralen, allparteilichen Konfliktbegleiter der eigenen inneren Haltung und der potenziellen Vorurteile bewusst sind. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ermöglicht es, eigene Positionen immer wieder kritisch zu hinterfragen und sicherzustellen, dass nicht unbewusst Partei ergriffen oder bestimmte Sichtweisen bevorzugt werden.
Durch diese Art der Selbstreflexion entwickeln Mediatoren/innen eine Haltung, die es ihnen erlaubt, auch in schwierigen oder emotional aufgeladenen Situationen allparteilich zu bleiben. Sie erkennen, wann sie selbst von einer bestimmten Aussage oder Handlung beeinflusst werden, und können so bewusst Abstand nehmen, um den Konfliktparteien einen Raum zu bieten, in dem ihre Perspektiven und Bedürfnisse gleichermaßen gehört und respektiert werden.
Selbstreflexion als Weg zu einer authentischen Mediation
Die Fähigkeit zur Selbstreflexion ist nicht nur entscheidend eine neutrale und allparteilich Haltung einzunehmen, sondern auch für die Authentizität in der Rolle als Mediator/in. Eine authentische Haltung ermöglicht es, ehrlich und transparent auf die Konfliktparteien zuzugehen und dadurch Vertrauen aufzubauen. Denn nur, wenn Mediatoren/innen fähig sind, sich selbst und die eigenen Prozesse zu reflektieren, können auch die Medianden/innen dazu ermutigt werden, ebenfalls ehrlich und offen in den Prozess einzutreten.
Diese Authentizität zeigt sich auch darin, dass Mediatoren/innen bereit sind, ihre eigenen Fehler und Unsicherheiten anzuerkennen. Es ist die Bereitschaft, sich selbst immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln – erst diese Haltung ermöglicht wirkungsvolle und nachhaltige Mediationsverfahren.
Conclusio
Selbstreflexion als lebenslange Begleiterin für Mediatoren/innen
Selbstreflexion ist mehr als eine formale, mechanische Verpflichtung – Selbstreflexion ermöglicht es, in der eigenen Rolle als Mediator/in präsent, neutral und allparteilich zu agieren und den Konfliktparteien den Raum zu geben, der für eine konstruktive Konfliktlösung benötigt wird. Ohne die Bereitschaft zur Selbstreflexion ist es kaum möglich, eigene Positionen und Vorurteile im Mediationsprozess kritisch zu hinterfragen und sicherzustellen, dass Medianden/innen in einem wirklich sicheren und urteilsfreien Raum agieren können.
Für alle, in der Mediation Tätigen, ist es daher unerlässlich, sich regelmäßig Zeit für die eigene Selbstreflexion zu nehmen. Nur so kann gewährleistet werden, dass in jeder Situation eine authentische, empathische und vor allem allparteiliche Haltung eingenommen wird. Selbstreflexion ist nicht nur ein Werkzeug – sie ist das Fundament, auf dem erfolgreiche und wirkungsvolle Mediation aufbaut.
Reflexionsfragen
- Wie oft nehme ich mir in meiner Praxis als Mediator/in bewusst Zeit für Selbstreflexion?
- In welchen Situationen fällt es mir schwer, neutral und allparteilich zu bleiben, und was sind die Auslöser dafür?
- Welche Methoden nutze ich bereits, um meine eigene innere Haltung und meine Reaktionen während eines Mediationsprozesses zu erkennen und zu hinterfragen?
- Wie beeinflusst meine innere Haltung die Konfliktparteien, mit denen ich arbeite? Kann ich erkennen, wie mein Verhalten den Mediationsprozess steuert?
- Wie gehe ich mit meinen eigenen Gefühlen um, wenn sie während einer Mediation aufkommen? Kann ich sie wahrnehmen, ohne sie in den Prozess einfließen zu lassen?
- Welche Techniken oder Praktiken könnten mir helfen, meine Selbstreflexionsfähigkeit weiter zu vertiefen und meine Mediationserfahrung zu verbessern?
- Inwieweit bin ich bereit, auch nach einer erfolgreichen Mediation meine eigene Rolle und meinen Einfluss auf den Prozess kritisch zu hinterfragen?
- Wie beeinflusst meine eigene Lebensgeschichte meine Haltung als Mediator/in, und inwieweit bin ich mir dieser Einflüsse bewusst?
- Wie gehe ich damit um, wenn ich merke, dass ich unbewusst Partei ergreife? Was hilft mir, in solchen Momenten wieder in eine allparteiliche Haltung zurückzufinden?
- Welche konkreten Schritte könnte ich unternehmen, um meine Selbstreflexion als Mediator*in zu einem kontinuierlichen Bestandteil meiner Praxis zu machen?