Sprache als Brücke im Mediationsprozess


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Prolog

Die Krücke des Wortes – Peter Turrinis Streben nach dem Erleben der Welt

Peter Turrini, einer der bedeutendsten österreichischen Autoren der Gegenwart, hat anlässlich seines 80. Geburtstags in einem bewegenden Statement seine enge Beziehung zur Sprache offengelegt.

„Ich werde erst durch das Verfassen eines Textes, eines Gedichtes auf die Welt gebracht!“

sagt er. Für Turrini ist die Sprache eine „Krücke“, ohne die er nicht überleben könnte, eine lebensnotwendige Verbindung zwischen der inneren und äußeren Welt. Gerade in einer Zeit, in der Sprache oft verkürzt, verstümmelt oder entwertet wird, bleibt für ihn die Literatur ein Akt des Widerstands und der Sehnsucht nach einer Wirklichkeit, die über Abkürzungen und Oberflächlichkeiten hinausgeht.

Die Verantwortung, Sprache bewusst einzusetzen

Diese Gedanken von Peter Turrini lassen sich hilfreich in den Kontext der Mediation übertragen. Genau wie Turrini sich durch Sprache selbst „auf die Welt bringt“, so bietet auch die Mediation den Konfliktparteien die Möglichkeit, ihre inneren Realitäten zu entdecken und zu artikulieren. Im Mediationsprozess wird Sprache zur Brücke – sie ermöglicht den Zugang zu einer Wirklichkeit, die oft unter Schichten von Missverständnissen, Vorurteilen und verkürzten Botschaften verborgen liegt. Durch bewusste Wortwahl, aktives Zuhören und empathisches Spiegeln fördert die Mediation eine Atmosphäre, in der das Unsagbare seinen Raum bekommt und so Konflikte erlebbar und greifbar werden.

Die Gefahr der sprachlichen Verkürzung und das Bedürfnis nach Tiefe

In unserer modernen, digitalisierten Welt erleben wir täglich, wie Sprache reduziert, abgekürzt und damit auch inhaltlich entwertet wird. Turrinis Kritik an der „sprachlichen Enteignung“ spiegelt sich in vielen Konflikten wider, die durch mangelnde Kommunikation oder ungenaue Ausdrucksweisen verschärft werden. Die Herausforderung in der Mediation besteht darin, diese verkürzten Botschaften zu entschlüsseln und sie in eine Form zurückzuführen, die Tiefe und Bedeutung erlaubt. Nur so können die echten Bedürfnisse, Gefühle und Interessen der Konfliktparteien sichtbar gemacht werden.

Der Mut zur Schonungslosigkeit

Turrini beschreibt die Literatur als „schonungslos, penetrant, peinlich“ – Eigenschaften, die sich auch in einer klärenden und verbindenden Mediation wiederfinden sollten. Die Aufgabe des Mediators besteht darin, durch gezielte Fragen, aktives Zuhören und eine vertrauensvolle Atmosphäre dafür zu sorgen, dass die Beteiligten den Mut finden, ihre eigenen Wahrheiten zu erkennen und zu benennen. Es geht nicht darum, vorsichtig oder diskret zu sein, sondern darum, das Unausgesprochene ans Licht zu bringen und die Konfliktbeteiligten dabei zu unterstützen, authentisch zu kommunizieren. Gerade dieser Mut zur Schonungslosigkeit ermöglicht es, tiefliegende Konfliktursachen zu erkennen und nachhaltige Lösungen zu entwickeln.

Sprache als Katalysator des Wandels

Mediation ist mehr als nur ein Verfahren zur Konfliktlösung – sie ist ein Prozess des Erfahrbarmachens von Konflikten. So wie Turrini seine Texte nutzt, um die Welt erfahrbar zu machen, hilft die Mediation den Beteiligten, ihren Konflikt zu begreifen, zu durchleben und zu transformieren. Die Sprache wird hierbei zum Katalysator des Wandels: Sie ermöglicht es, innere Barrieren abzubauen, Empathie zu entwickeln und gemeinsam neue Wege zu finden. Dieser Prozess ist oft schmerzhaft, doch gerade in der Bereitschaft, diesen Schmerz zuzulassen, liegt das Potenzial für echte Veränderung.

Schlussgedanken

Peter Turrinis Worte sind eine eindringliche Erinnerung an die Verantwortung, die mit der Verwendung von Sprache einhergeht. Für Mediatoren bedeutet dies, Sprache nicht nur als Werkzeug der Verständigung zu begreifen, sondern auch als Mittel zum Ermöglichen von Bewusstsein, Verständnis und Verbindung. Wenn wir den Mut aufbringen, Konflikte erfahrbar zu machen und die Sprache als Brücke zum 'gegenseitigen Verstehen' nutzen, dann können wir – wie Turrini es beschreibt – „auf die Welt gebracht“ werden. In diesem Sinne ist Mediation eine Form der Lebenskunst, die es uns ermöglicht, durch Sprache nicht nur Konflikte zu lösen, sondern auch menschliche Begegnung und Resonanz zu verwirklichen.

Reflexive Gedanken

  1. Die Verantwortung der Sprache: Wie bewusst setzen wir Sprache im Alltag ein, insbesondere in Konfliktsituationen? Inwiefern tragen wir dazu bei, durch unsere Wortwahl Brücken zu bauen oder zu trennen?
  2. Die Macht des unausgesprochenen Wortes: Manchmal sagt das, was nicht ausgesprochen wird, mehr als die Worte selbst. Welche Rolle spielt die bewusste Stille in der Mediation, und wie können wir lernen, diese Form der Kommunikation besser zu verstehen?
  3. Sprache als Werkzeug der Veränderung: Turrini spricht von der Sprache als 'Krücke' bzw 'Leiter', die ihm hilft, die Welt zu erfahren. Inwiefern kann die bewusste Verwendung von Sprache im Mediationsprozess nicht nur zur Konfliktlösung, sondern auch zur persönlichen Entwicklung und Veränderung der Konfliktparteien beitragen?