Vertrauenskultur in der Mediation
„Wer vertraut, überwindet die Ungewissheit, doch er eliminiert sie nicht, denn die Zweifel bleiben im Hintergrund.“
Guido Möllering[i]
Diese Aussage von Guido Möllering bringt die komplexe Natur des Vertrauens auf den Punkt. Vertrauen ist nicht nur eine positive Gewissheit, sondern immer auch begleitet von einem Hauch von Zweifel. Besonders in der Mediation ist Vertrauen ein essenzieller Faktor, ohne den der Prozess kaum Erfolg haben kann. Vertrauen wird hier als die Kunst verstanden, trotz der bestehenden Unsicherheiten in den Prozess, den Mediator und die andere Konfliktpartei einzutreten und sich dem Weg der Konfliktlösung zu öffnen.
Im folgenden Artikel wird der Versuch unternommen, die Bedeutung von Vertrauen im Mediationsprozess zu beleuchten und aufzuzeigen, welche Rolle es für die Konfliktparteien und den Mediator spielt. Hierbei soll auch Möllerings dreiteilige Sichtweise auf Vertrauen als rationaler Prozess, Routine und Ergebnis von Lernprozessen in die Überlegungen eingebunden werden.
Was bedeutet Vertrauen im Kontext der Mediation?
Vertrauen in der Mediation umfasst zwei Hauptaspekte: das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien und das Vertrauen in den Mediator und den Prozess selbst. Vertrauen zwischen den Konfliktparteien ist oft erschüttert, denn Konflikte entstehen häufig aus Missverständnissen, mangelnder Kommunikation oder Enttäuschungen. In der Mediation müssen die Parteien jedoch die Bereitschaft mitbringen, sich aufeinander einzulassen, um den Konflikt gemeinsam zu lösen. Hier spielt der Mediator eine entscheidende Rolle, indem er Vertrauen fördert, indem er einen geschützten Raum für die Kommunikation schafft. Die Parteien müssen darauf vertrauen können, dass der Mediator neutral ist und ihnen hilft, ihre Anliegen ohne Parteinahme zu klären. Dieses Vertrauen in den Mediator und den Prozess ist die Grundlage dafür, dass die Konfliktparteien den Weg der Mediation überhaupt erst beschreiten.
Vertrauen als spezifische Arbeit
In Ergänzung zu den bisherigen Überlegungen hebt Guido Möllering (2013)[ii] in einem weiteren Artikel hervor, dass Vertrauen keine Selbstverständlichkeit ist, sondern gezielt entwickelt und gepflegt werden muss. Vertrauen ist demnach das Resultat kontinuierlicher Arbeit, die im Mediationskontext eine wichtige Rolle spielt. Der Mediator muss aktiv darauf hinwirken, dass sich die Parteien sicher fühlen und bereit sind, sich auf den Prozess einzulassen. Dies bedeutet, dass er durch Transparenz, aktives Zuhören und Neutralität/Allparteilichkeit gezielt das Vertrauen der Parteien aufbaut und bewahrt. Dieser Aspekt betont die prozesshafte Natur von Vertrauen, die auch in der Mediation entscheidend ist. Vertrauen kann durch bestimmte Verhaltensweisen im Prozess gefördert oder zerstört werden.
Vertrauen als prozesshafte Entwicklung
Vertrauen ist, wie Möllering erklärt, ein fortlaufender Prozess und kein statischer Zustand. Es entwickelt sich und festigt sich, wenn gemeinsam daran gearbeitet wird. In der Mediation beginnt Vertrauen nicht immer auf einem festen Fundament – oft kommen die Parteien mit Misstrauen und Vorbehalten in das Verfahren. Der Mediator muss den Raum so gestalten, dass dieses Vertrauen Schritt für Schritt aufgebaut wird. Dieser Prozess erfordert Geduld und die Bereitschaft der Parteien, die Unsicherheiten, die mit dem Konflikt einhergehen, anzuerkennen, während sie sich gleichzeitig auf die Suche nach Lösungen begeben.
Perspektiven auf das Vertrauen
Guido Möllering (2008) bezeichnet die Kunst des Vertrauens als das „Aufheben“ von Ungewissheit, wobei er – auf die Hegel’sche Dialektik anspielend – im Aufheben simultan ein „Außerkraftsetzen“ von Unsicherheit und dessen „Aufbewahren“ erkennt. Vertrauen überwindet demnach zwar die Ungewissheit, eliminiert sie aber nicht vollständig, da Zweifel weiterhin im Hintergrund bestehen. Diese Dialektik lässt sich auch im Mediationsprozess erkennen: Die Parteien müssen die Unsicherheiten, die in ihrem Konflikt und im Prozess selbst bestehen, akzeptieren und dennoch bereit sein, dem Verfahren zu vertrauen.
Möllering identifiziert drei Sichtweisen von Vertrauen, die sich im Mediationskontext als besonders relevant erweisen:
- Vertrauen als Frage der Vernunft: Vertrauen in der Mediation kann als eine rationale Entscheidung betrachtet werden. Konfliktparteien entscheiden sich bewusst für die Teilnahme an der Mediation, weil sie glauben, dass dies ein sinnvoller Weg ist, um ihren Konflikt zu lösen. Sie handeln als (begrenzt) rationale Entscheider, die die Mediation als eine Möglichkeit sehen, eine Unsicherheit – den Konflikt – zu überwinden. Diese Vernunftentscheidung basiert darauf, dass die Konfliktparteien darauf vertrauen, dass der Mediator einen fairen und neutralen Rahmen bietet, in dem sie sicher und ohne Vorurteile ihre Sichtweisen darlegen können. Dennoch bleibt die Ungewissheit bestehen, ob die andere Seite kooperativ ist oder ob die Mediation tatsächlich zu einer Lösung führen wird.
- Vertrauen als Routine: Vertrauen wird häufig routinemäßig geschenkt, und auch in der Mediation entwickelt sich eine Art Routine des Vertrauens. Im Verlauf des Mediationsverfahrens gewöhnen sich die Konfliktparteien an die Struktur der Sitzungen, die Moderation durch den Mediator und die Regeln der Kommunikation. Diese Routine schafft Sicherheit, weil die Parteien zunehmend lernen, was sie im Prozess erwarten können, was ihre Unsicherheiten verringert. Obwohl Zweifel weiterhin bestehen, fühlt sich der Prozess vertrauter an, was den Weg zur Lösung erleichtert. Diese Routine des Vertrauens in den Prozess ist ein stabilisierender Faktor, der den Parteien die Möglichkeit gibt, sich offener und konstruktiver zu verhalten.
- Vertrauen als Ergebnis von Lernprozessen: Vertrauen in der Mediation wird auch durch Lernprozesse aufgebaut. Jede Interaktion im Mediationsprozess bietet den Konfliktparteien die Gelegenheit, zu lernen, wie die andere Seite reagiert und wie der Mediator den Prozess steuert. Diese Erfahrungen tragen dazu bei, dass das Vertrauen allmählich gefestigt wird. Wenn die Parteien sehen, dass der Mediator fair bleibt und ihre Anliegen ernst nimmt, lernen sie, ihm und dem Verfahren mehr zu vertrauen. Diese Art von Vertrauen ist nicht statisch, sondern entwickelt sich im Laufe der Zeit. Auch das Vertrauen zwischen den Konfliktparteien kann durch diese Erfahrungen gestärkt werden, wenn sie merken, dass ihre Bemühungen um Verständigung und Lösung Erfolg haben können.
Vertrauen als Form der Zusammenarbeit
In Möllerings späteren Arbeiten wird ebenfalls betont, dass Vertrauen nur dann langfristig bestehen kann, wenn alle Parteien aktiv daran mitwirken. Im Mediationsprozess bedeutet dies, dass nicht nur der Mediator verantwortlich für den Vertrauensaufbau ist. Auch die Konfliktparteien selbst müssen die Bereitschaft mitbringen, sich dem Prozess zu öffnen und kooperativ nach Lösungen zu suchen. Vertrauen ist somit ein wechselseitiger Prozess, in den alle Beteiligten investieren müssen. Diese Zusammenarbeit trägt entscheidend dazu bei, dass das Vertrauen erhalten bleibt und den Weg zu einer konstruktiven Konfliktlösung ebnet.
Welche Bereitschaft sollten die Parteien ins Verfahren einbringen?
Um Vertrauen im Mediationsprozess aufzubauen, müssen die Parteien bestimmte Haltungen und Bereitschaften mitbringen:
- Bereitschaft zur Offenheit: Vertrauen entsteht, wenn die Parteien bereit sind, sich zu öffnen und ihre Sichtweisen ehrlich darzulegen. Sie müssen die Bereitschaft haben, über ihre Bedürfnisse, Interessen und Emotionen zu sprechen, damit der Mediator und die andere Partei ihre Perspektive verstehen können.
- Bereitschaft zur Kooperation: Vertrauen wird auch dadurch gefördert, dass beide Parteien zeigen, dass sie an einer kooperativen Lösung interessiert sind. Sie müssen bereit sein, gemeinsam nach Lösungen zu suchen, die für beide akzeptabel sind.
- Bereitschaft zur Vertraulichkeit: Vertraulichkeit ist ein zentraler Bestandteil der Mediation. Die Parteien müssen darauf vertrauen können, dass alles, was im Mediationsverfahren besprochen wird, vertraulich bleibt. Gleichzeitig müssen sie selbst bereit sein, diese Vertraulichkeit zu respektieren, um das Vertrauen der anderen Partei nicht zu untergraben.
Welche Bereitschaft sollte der Mediator ins Verfahren einbringen?
Auch der Mediator muss bestimmte Bereitschaften mitbringen, um das Vertrauen der Parteien zu gewinnen und aufrechtzuerhalten:
- Bereitschaft zur Neutralität: Der Mediator muss jederzeit neutral und allparteilich sein und darf keine der Konfliktparteien bevorzugen. Nur so kann er das Vertrauen beider Seiten gewinnen.
- Bereitschaft zum aktiven Zuhören: Ein Mediator muss bereit sein, den Parteien aktiv zuzuhören, ihre Anliegen ernst zu nehmen und ihnen zu zeigen, dass sie gehört werden. Dies fördert das Vertrauen in seine Person und seine Rolle als neutraler Dritter.
- Bereitschaft zur Prozesssteuerung: Der Mediator muss den Mediationsprozess klar und transparent leiten, aber gleichzeitig flexibel auf die Bedürfnisse der Parteien eingehen. Dies schafft Vertrauen in den Ablauf und die Fairness des Verfahrens.
Conclusio
Vertrauen ist im Mediationsprozess eine dynamische und mehrschichtige Größe, die sich sowohl durch rationale Entscheidungen als auch durch Routine und Lernprozesse entwickelt. Guido Möllerings (2008, 2013) Konzept des „Aufhebens“ von Ungewissheit, das sowohl die Überwindung von Unsicherheit als auch das Fortbestehen von Zweifeln umfasst, spiegelt die komplexe Natur von Vertrauen in der Mediation wider. Sowohl die Parteien als auch der Mediator müssen die Bereitschaft aufbringen, sich auf diesen Prozess einzulassen, Vertrauen aufzubauen und zu pflegen – wissend, dass eine gewisse Restunsicherheit immer bestehen bleibt. Vertrauen ist somit ein aktiver, wechselseitiger Prozess, der das Fundament für eine erfolgreiche Konfliktlösung bildet.
Reflexionsfragen
· Wie trage ich als Mediator aktiv zum Aufbau und Erhalt von Vertrauen im Mediationsprozess bei? Welche meiner Verhaltensweisen könnten das Vertrauen der Konfliktparteien stärken oder schwächen?
· Welche Rolle spielen Zweifel im Vertrauensaufbau, und wie kann ich sicherstellen, dass diese Zweifel konstruktiv im Hintergrund bleiben, ohne die Vertrauensbasis zu untergraben?
· Wie gehe ich mit Vertraulichkeit um, und wie schaffe ich eine Balance zwischen Offenheit und Diskretion, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu fördern?
· In welchen Situationen habe ich erfahren, dass Vertrauen entscheidend für den Verlauf einer Mediation war, und was habe ich aus diesen Erfahrungen für meine Arbeit gelernt?
Die Vertrauenskultur ist das Fundament eines jeden Mediationsprozesses. Vertrauen zu schaffen, zu erhalten und in schwierigen Momenten zu stärken, erfordert nicht nur methodisches Wissen, sondern auch eine persönliche Bereitschaft zur Offenheit und Reflexion. Wenn Mediatoren und Konfliktparteien den Mut aufbringen, trotz Unsicherheiten und Zweifel miteinander zu arbeiten, kann eine Atmosphäre entstehen, in der echte Verständigung und nachhaltige Lösungen möglich werden. Vertrauen ist dabei kein statischer Zustand, sondern ein lebendiger Prozess, der von allen Beteiligten aktiv gestaltet wird. Mögen diese Reflexionsfragen dazu anregen, die eigene Praxis zu vertiefen und die Bedeutung von Vertrauen als Schlüssel zur Konfliktlösung neu zu würdigen.
Vielen Dank fürs Lesen und eine gute Zeit!
[i] Möllering, G. (2008). Kreativität braucht Vertrauen: Misstrauen schränkt die Möglichkeiten ein, individuelle Kräfte zu entwickeln und zu offenbaren, Der Tagesspiegel, 30.03.2008.
[ii] Möllering, G. (2013), Vertrauen ist sowohl Substantiv als auch Verb, Prozesse der Vertrauensarbeit im Management, Zeitschrift für Führung + Organisation zfo 82 (2), S. 84-88.