Wege zum Wesenskern der Mediation

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Prolog

„Mediation? Ach, das hat doch mit Meditation zu tun, oder?“ Diese Frage ist gängig, doch sie offenbart nicht nur ein Missverständnis. Während der Begriff „Meditation“ heute oft mit der Suche nach innerer Ruhe verbunden wird, steckt hinter der ursprünglichen „Meditatio“ etwas anderes: die Kunst des reflektierten Nachdenkens, des gezielten Erwägens und Analysierens. Erst die „Contemplatio“ verkörpert das, was wir als tiefe Einkehr und innere Ruhe kennen – ein stilles, empfängliches Verweilen, jenseits des aktiven Denkens.

Und wie verhält es sich nun mit der „Mediation“? Der Ursprung liegt im lateinischen Verb „mediāre“, vermitteln, dazwischentreten. Der folgende Artikel beleuchtet, wie all diese Begriffe miteinander verwoben sind und wie sich ihre Ursprünge in der Praxis der Mediation widerspiegeln. Dabei zeigt er, warum die Mediation nicht nur eine Methode der Konfliktlösung ist, sondern eine Brücke zwischen reflektiertem Denken (Meditatio) und der Fähigkeit, in Stille zu vermitteln (Contemplatio).

Meditatio und Contemplatio – Zwei Wege zum Wesenskern der Mediation

Im Kontext der Mediation wird oft betont, wie wichtig es ist, nicht nur strukturiert, sondern auch mitfühlend und präsent zu arbeiten. In diesem Zusammenhang sind die Begriffe „Meditatio“ und „Contemplatio“ aufschlussreich, da sie Mediatoren helfen können, ihr eigenes Handeln besser zu verstehen und bewusster einzusetzen. Doch was bedeuten diese Begriffe genau, und wie lassen sie sich in der Mediation anwenden? Zudem ist der Ursprung des Begriffs „Mediation“ selbst aufschlussreich, um zu verstehen, wie diese Ansätze miteinander verbunden sind.

Meditatio – Das aktive Reflektieren

Der Begriff „Meditatio“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Nachdenken“, „Erwägen“ oder „Betrachtung“. Ursprünglich bezeichnete er ein strukturiertes, gezieltes Denken über ein bestimmtes Thema. In der römischen Philosophie und später im mittelalterlichen Christentum diente die Meditatio als Methode, um Wissen zu vertiefen, Erkenntnisse zu gewinnen und den eigenen Geist zu schulen. Meditatio ist damit ein aktiver Prozess: Sie fordert uns auf, Fragen zu stellen, zu hinterfragen und sich mit einem Thema auseinanderzusetzen – ein reflektierter innerer Dialog, der darauf abzielt, Klarheit zu schaffen.

Contemplatio – Das empfangende Verweilen

„Contemplatio“ hingegen lässt sich mit „schauender Betrachtung“ oder „Verweilen“ übersetzen. Im Gegensatz zur Meditatio geht es hier nicht um das bewusste Analysieren, sondern um ein offenes, rezeptives Verweilen bei einem Gegenstand oder einer inneren Erfahrung. Contemplatio ist ein Akt des Staunens, des Innehaltens und des Sich-Hineinversetzens – ein Zustand, der weniger durch aktives Tun als durch aufmerksames Sein geprägt ist. In der kontemplativen Praxis gibt es kein festgelegtes Ziel, sondern vielmehr ein Ankommen im gegenwärtigen Moment.

Ursprung des Begriffs „Mediation“ - mediāre

Der Begriff „Mediation“ selbst hat seine Wurzeln im lateinischen „mediare,“ was „vermitteln,“ „in der Mitte stehen“ oder „ausgleichen“ bedeutet. Ein Mediator ist also wörtlich jemand, der „in der Mitte steht“ und zwischen zwei Parteien vermittelt, um einen Ausgleich zu schaffen. Dieser Aspekt des „in der Mitte Stehens“ betont die Rolle des Mediators als neutralen Vermittler, der den Raum schafft, in dem die Parteien ihre Anliegen austauschen und Lösungen finden können.

Dieser lateinische Ursprung unterstreicht, dass der Mediator eben als Vermittler, als jemand, der Ausgleich und Verbindung herstellt, zu verstehen ist. Im Prozess der Mediation werden also nicht nur Positionen verbunden, sondern auch Perspektiven und (alternative) Möglichkeiten geteilt und gemeinsam betrachtet – ein wesentliches Element der Konfliktlösung.

Mediation als Verbindung von Meditatio und Contemplatio

Wenn wir diesen Gedanken auf die Mediation übertragen, wird deutlich, wie sich die Konzepte der Meditatio und Contemplatio ergänzen. Mediation erfordert vom Mediator ein hohes Maß an strukturiertem Denken, klare Analysen und zielgerichtete Fragen – all das sind Elemente der Meditatio. In einer Mediation ist es wichtig, das Problem zu durchdringen, die Interessen der Parteien zu erarbeiten und Lösungen zu entwickeln.

Gleichzeitig verlangt die Mediation die Fähigkeit zur Contemplatio. Ein guter Mediator muss präsent sein, zuhören und die Stille zulassen, die manchmal entsteht. Die Contemplatio ermöglicht es dem Mediator, nicht sofort auf alles eine Antwort zu haben, sondern das Unausgesprochene wahrzunehmen und zu akzeptieren. Dies entspricht dem lateinischen „mediare“, indem der Mediator in der Mitte steht und den Austausch ermöglicht, ohne selbst Partei zu ergreifen.

Praktische Implikationen für Mediatoren

Für Mediatoren ist es daher essenziell, zwischen Meditatio und Contemplatio wechseln zu können. Während in manchen Phasen der Mediation die analytische Klarheit und Struktur (Meditatio) gefragt sind – etwa beim Herausarbeiten von Interessen und Bedürfnissen –, erfordert die Mediation in anderen Momenten eine kontemplative Haltung, bei der es darum geht, einfach da zu sein und den Prozess geschehen zu lassen.

Conclusio – Ein Weg zur Tiefe in der Mediation

Mediation als Prozess ist weit mehr als das Lösen von Konflikten. Sie ist ein Weg des Verstehens und Verbindens, der sowohl analytische Klarheit als auch empfängliche Offenheit erfordert. Meditatio und Contemplatio bilden dabei zwei sich ergänzende Seiten dieses Prozesses. Der lateinische Ursprung des Begriffs „mediare“ zeigt, dass der Mediator eine aktive Rolle als Vermittler einnimmt, der nicht nur strukturiert arbeitet, sondern auch einen Raum schafft, in dem die Parteien ihre Anliegen teilen können.

Die Integration von Meditatio und Contemplatio eröffnet somit einen Weg zu einer authentischen, ganzheitlichen Mediation – ein Weg, der sowohl den klaren Verstand als auch das offene Herz einbezieht und damit das Wesen der Mediation in seiner ganzen Tiefe und Komplexität erfasst.


Reflexionsfragen:

  • In welchen Situationen der Mediation neigst du dazu, stärker analytisch (Meditatio) vorzugehen, und wann ist es wichtiger, präsent und offen (Contemplatio) zu bleiben?
  • Wie könnte das bewusste Wechseln zwischen Meditatio und Contemplatio deine Fähigkeit als Mediator verbessern, einen Raum des Vertrauens und der Klarheit zu schaffen?
  • Wie lässt sich die Unterscheidung zwischen Mediatio und Contemplatio auf deine eigene Konfliktwahrnehmung übertragen? Siehst du Unterschiede, wie du mit deinen eigenen inneren Konflikten im Vergleich zu externen Konflikten umgehst?
  • In welchem Bereich deiner Mediationspraxis siehst du Potenzial, noch mehr von der kontemplativen Seite der Mediation zu integrieren, und was könnte dadurch entstehen?