Interessen in der Mediation

'inter esse' | das 'dazwischen ... das Verbindende zwischen Positionen und Lösungen

In der Mediation wird oft der Begriff "Interessen" als Schlüsselelement für das Verständnis und die Lösung von Konflikten hervorgehoben. Doch was ist das Besondere an diesem Schlüsselbegriff?

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Interessen repräsentieren das "Dazwischen", das Bindeglied, das nicht nur die Konfliktparteien, sondern auch ihre Positionen und potenziellen Lösungen miteinander verbindet. Dieser Aufsatz untersucht, wie Interessen in der Mediation als zentrales Element fungieren, das hilft, die wahren Bedürfnisse und Wünsche der Medianden zu erkennen und zu einer effektiven Konfliktlösung überzuleiten.

Kernthese

Interessen in der Mediation sind das vermittelnde Element, das die sichtbaren Positionen der Konfliktparteien mit den untergründigen Bedürfnissen und letztlich mit den möglichen Lösungen verbindet. Sie sind der Schlüssel zum Verständnis dessen, was den Parteien wirklich wichtig ist, und bieten einen Wegweiser zu effektiven Lösungen, die über die Oberfläche hinausgehen.

Positionen versus Interessen

Positionen in Konfliktsituationen werden häufig als starre Standpunkte oder Forderungen dargestellt, die die Parteien einnehmen oder verteidigen. Diese Positionen sind oft das Erste, was in einer Mediation artikuliert wird – sie sind die sichtbaren Spitzen des Eisbergs. Das Hemmnis an diesen Positionen ist, dass sie wenig über die wahren Beweggründe der Parteien aussagen und tendenziell wenig Flexibilität für Verhandlungen bieten, da sie wie ultimative "Alles-oder-Nichts"-Forderungen erscheinen. Wenn sich beide Parteien auf ihre Positionen versteifen, entsteht ein Nullsummenspiel, in dem das, was die eine Seite gewinnt, die andere verliert. Dies führt zu erhöhtem Widerstand und verringerten Chancen für eine Einigung.

Interessen hingegen transportieren die zugrunde liegenden Beweggründe, Bedürfnisse, Wünsche und Sorgen, die eben dazu führen, dass Menschen bestimmte Positionen einnehmen. Sie sind die tieferen Schichten unter der Wasseroberfläche des Eisbergs. Interessen zu verstehen bedeutet, den Kern dessen zu erfassen, was den Parteien wirklich wichtig ist – ihre Werte, Hoffnungen, Ängste und Ziele. Anders als Positionen, die oft konfrontativ sind, können Interessen vielfältig und komplementär sein. Sie bieten daher einen fruchtbareren Boden für die Entwicklung von Lösungen, die für alle Parteien akzeptabel und fair sind.

Diese Flexibilität, die den Interessen eigen ist, ermöglicht es den Parteien, über den engen Rahmen ihrer ursprünglichen Forderungen hinauszugehen und Lösungen zu erkunden, die ihre tiefsten Bedürfnisse und Wünsche ansprechen. Dies öffnet den Raum für eine kreative Problemlösung, bei der nicht mehr um festgelegte Positionen gekämpft wird, sondern Optionen entwickelt werden, die die Motive und Beweggründe aller Beteiligten widerspiegeln. So kann beispielsweise in einer Verhandlung über Arbeitsbedingungen die Position "Ich möchte freitags nicht arbeiten" sein, während das dahinterstehende Interesse "Ich brauche mehr Zeit mit meiner Familie" sein könnte. Wenn dieses (zugrundeliegende) Interesse verstanden wird, können verschiedene Lösungen gefunden werden, die diesem Bedürfnis gerecht werden, ohne dabei strikt auf der ursprünglichen Position zu beharren.

Durch den Fokus auf Interessen statt auf Positionen wird der Mediationsprozess zu einem konstruktiven Dialog, in dem die Parteien nicht Gegner, sondern Partner bei der Suche nach einer gemeinsamen Lösung sind. Dies fördert nicht nur die Einigungsbereitschaft, sondern stärkt auch die Beziehung zwischen den Parteien, da sie sich in ihren grundlegenden menschlichen Bedürfnissen und Wünschen gesehen und verstanden fühlen.

Interessen als Verbindung

Interessen fungieren in der Mediation als das essenzielle Bindeglied, das die sichtbaren, oft konträren Positionen der Medianden überbrückt. Während Positionen die äußeren Manifestationen der inneren Wünsche und Bedürfnisse sind, stellen die Interessen das verbindende Element dar, das den wahren Kern der Angelegenheit berührt. Indem der Fokus von den Positionen auf die Interessen verlagert wird, wird eine gemeinsame Basis geschaffen, auf der die Parteien zusammenkommen können.

Überbrückung der Kluft durch Interessen:

Die Betrachtung von Interessen ermöglicht es, hinter die Fassade der Positionen zu blicken und die tieferen Schichten der menschlichen Motivation zu erkunden. Während Positionen oft polarisierend wirken, bieten Interessen einen Raum für Gemeinsamkeiten, da sie die fundamentalen menschlichen Antriebe widerspiegeln, die viele Menschen teilen.

In der Mediation dient das Aufdecken und Erörtern dieser Interessen dazu, die scheinbar unüberwindbare Kluft zwischen den Parteien zu überbrücken. Wenn beispielsweise zwei Geschäftspartner in einem Konflikt über die Unternehmensstrategie stehen, könnten die zugrunde liegenden Interessen Sicherheit, Wachstum oder Anerkennung sein. Indem diese Interessen artikuliert werden, kann der scheinbare Gegensatz in den Positionen gemildert werden.

Förderung von Verständnis und Verbindung:

Das Erkennen und Adressieren von Interessen fördert nicht nur Lösungen, sondern auch das gegenseitige Verständnis. Wenn eine Partei erkennt, dass ihre eigenen tiefsten Bedürfnisse mit denen der anderen Partei resonieren oder zumindest von dieser verstanden werden, entsteht eine Verbindung, die über die reine (schnelle) Lösungsfindung hinausgeht.

Diese Verbindung entsteht aus dem menschlichen Bedürfnis nach Verstandenwerden und Anerkennung. Sie fördert das Vertrauen und baut eine Brücke, die eine kollaborative Atmosphäre für die Lösungsfindung schafft. Diese tiefere Verbindung kann zudem zur Prävention zukünftiger Konflikte beitragen, da die Parteien lernen, einander auf einer grundlegenderen Ebene zu verstehen und zu schätzen.

Das Navigieren des Weges von Interessen zu Lösungen erfordert eine sorgfältige Moderation und Führung durch den/die Mediator/in. Diese/r regt eben die Parteien dazu an, über den Tellerrand ihrer anfänglichen Positionen hinauszuschauen und gemeinsam kreative Lösungsansätze zu entwickeln. Diese Vorgehensweise stärkt nicht nur das Ergebnis der Mediation, sondern auch die Beziehungen zwischen den Parteien, indem sie ein Modell für zukünftige Interaktionen und Konfliktbewältigungen bietet.

Von Interessen zu Lösungen

Die Identifizierung von Interessen ist nicht nur für das Verständnis der Konfliktdynamik entscheidend, sondern auch für die Entwicklung nachhaltiger Lösungen. Lösungen, die auf den Interessen der Parteien basieren, sind oft robuster und zufriedenstellender, da sie die eigentlichen Bedürfnisse und Wünsche der Parteien ansprechen.

Im Gegensatz zu rein kompromissbasierten Lösungen, die oft nur oberflächliche oder kurzfristige Vereinbarungen darstellen, ermöglichen interessenbasierte Lösungen eine tiefergehende Befriedigung der Parteien. Sie bieten innovative und maßgeschneiderte Antworten auf die eigentlichen Fragen und Probleme, die den Konflikt auslösten.

Die Transformation von Interessen in Lösungen ist ein zentraler Aspekt der Mediation, der den Erfolg des Verfahrens maßgeblich bestimmt. Indem die Interessen der Parteien klar identifiziert und artikuliert werden, öffnet sich ein Raum für Lösungen, die über herkömmliche Kompromisse hinausgehen und echte Win-Win-Situationen schaffen.

Ebnen des Weges für kreative Lösungen:

Die Identifizierung von Interessen führt zu einer Erweiterung des Lösungsraums. Anstatt sich auf die binären Ergebnisse zu konzentrieren, die Positionen oft mit sich bringen, ermöglicht ein Fokus auf Interessen eine mehrdimensionale Betrachtung von Lösungen. Wenn zum Beispiel in einem Arbeitskonflikt die Position "Ich möchte eine Gehaltserhöhung" zu dem Interesse "Ich möchte meine Arbeit als wertgeschätzt sehen" transformiert wird, eröffnen sich vielfältige Lösungswege wie Bonusprogramme, zusätzliche Urlaubstage oder Weiterbildungsmöglichkeiten.

Diese Herangehensweise nutzt die kreative Kapazität der Medianden, indem sie sie ermutigt, über konventionelle Lösungen hinaus zu denken und maßgeschneiderte, innovative Antworten auf ihre Bedürfnisse zu finden.

Unterstützung durch Mediatoren/innen:

Mediatoren/innen spielen eine entscheidende Rolle dabei, die Parteien dazu zu bringen, ihre wahren Interessen zu erkennen und zu artikulieren. Sie verwenden Techniken wie aktives Zuhören, paraphrasieren und fragen nach, um die Parteien dazu zu bewegen, über die Oberfläche ihrer Positionen hinauszuschauen und das zugrunde liegende Motiv zu erforschen.

Ein weiterer Ansatz ist die Nutzung von "Was-wäre-wenn"-Fragen, die die Medianden dazu anregen, hypothetische Szenarien zu betrachten, was zu einem tieferen Verständnis der eigenen Interessen und der der anderen Partei führt.

Mediatoren/innen helfen auch dabei, die oft impliziten Interessen zu explizieren, die nicht direkt ausgesprochen werden, indem sie auf nonverbale Hinweise achten oder Muster in den Äußerungen der Medianden erkennen.

Konstruktive Basis für Lösungsfindung:

Wenn die Interessen einmal klar auf dem Tisch liegen, fungieren diese als Bausteine für die Lösungsfindung. Mediatoren/innen können die Parteien dabei unterstützen, diese Bausteine zu verwenden und sie in einem kollaborativen Prozess zusammenzusetzen, um Lösungen zu formen, die für alle Beteiligten akzeptabel und vorteilhaft sind.

Dieser Prozess beinhaltet das gegenseitige Aufbauen auf im Prozess artikulierter Ideen. Dies trägt nicht nur zur Lösungsfindung bei, sondern stärkt auch das Gefühl der Zusammenarbeit und des gemeinsamen Erfolgs.

Die Verschiebung von Interessen zu Lösungen in der Mediation ist ein dynamischer Prozess, der Einsicht, Kreativität und Kooperation erfordert. Durch die Konzentration auf die tiefere Ebene der Interessen eröffnen Mediatoren/innen einen Raum, in dem Konflikte nicht nur gelöst, sondern auch transformiert werden können. Dies ermöglicht den Parteien gestärkt und mit neuen Perspektiven aus der Mediation hervorzugehen.


Schlussfolgerung

Interessen in der Mediation sind mehr als nur ein Verhandlungselement; sie sind das Herzstück des Mediationsprozesses. Sie fungieren als Brückenbauer zwischen den starren Positionen und den potenziellen Lösungen, erleichtern das gegenseitige Verständnis und fördern Lösungen, die von allen Parteien getragen werden. Ein effektiver Mediationsprozess erfordert daher ein tiefes Eintauchen in diese Interessen, um das "Dazwischen" zu erkunden und zu nutzen, das letztlich den Weg zu dauerhaftem Konsens und Verständnis ebnet.